Was den US-Amerikanern die Slums, sind den Japanern die sogenannten Buraku, also Wohngebiete, die sich von der übrigen Gesellschaft streng abgrenzen und nur Menschen bestimmter Stände beherbergen. Buraku lässt sich mit Sondergemeinde ins Deutsche übersetzen und entsprechend werden die Bewohner dieser ganzen Bezirke, die sich meist in der Nähe von Bahnhöfen befinden, Burakumin genannt. Doch in Japan ist Begriff nicht nur eine Bezeichnung einer bestimmten Volksgruppe, sondern über weite Strecken noch bis heute eine echte Brandmarkung für ausgegrenzte Sonderlinge. Denn wer als Burakumin bezeichnet wird, findet keinen sozialen Respekt und wird ganz im Gegenteil gar in vielen Dingen des alltäglichen Lebens diskriminiert.
Ein gesellschaftliches Problem, kein ethnisches
Die Buraku gehen auf das Vier-Stände-Systems der Edo-Zeit zurück, die sich ab 1603 über 250 Jahre in Japan erstreckte. Während also die Shogune noch über das Land herrschten, diente das Vier-Stände-System – das Shinokosho – zur Einteilung der Bevölkerung und regelte die gesellschaftliche und wirtschaftliche Rangordnung. An erster Stelle stand der Schwertadel, also die Samurai, gefolgt von der Landwirtschaft, dem Handwerk und schließlich dem Handel. Über das System erhaben waren sowohl die Höflinge des kaiserlichen Hofes als auch sämtliche geistliche Berufe. Alle übrigen Berufe bildeten die unterste gesellschaftliche Schicht, galten als minderwertig und wurden in vielen Angelegenheiten massiv diskriminiert. Die Rechtfertigung dafür fanden die anerkannten Stände in ihren religiösen Wurzeln des Shintoismus oder Buddhismus, in denen die verschmähten Berufe als unrein galten. Dazu zählten unter anderem Leichenwäscher und Totengräber, Lumpensammler, Schlachter, Gerber oder auch Schuster. Das größte Problem für diese Burakumin war der Umstand, dass es aus dem Stand kaum einen Ausweg gab, da der entsprechende Beruf erblich war. So wurde man während der Edo-Zeit also schon als Burakumin geboren.
Wer mit dem Begriff Eta bezeichnet wurde, befand sich noch eine Stufe unter den Burakumin. Denn die Eta waren in der Regel arbeits- und mittellos. Somit galten sie selbst innerhalb der Sondergemeinden als minderwertig und sahen sich vielfältigen Vorurteilen ausgesetzt. So sagte man, dass die Eta ihr Unterstützungsgeld an minderwertigen Reiswein verschwenden, dass sie gewalttätig seien, über keinerlei Sexualmoral verfügten und in zerrütteten Familien lebten. Sicherlich traf das auf den einen oder anderen zu, aber gewiss nicht auf alle verarmten Mitglieder der untersten Stufe der Gesellschaft.
Die Diskriminierung nahm ihren Lauf
Während des Shogunats in Japan, bestand ein Melderegister, in das jeder Bewohner nach seiner Geburt mit seinem Beruf eingetragen wurde. Entsprechend hatten die Burakumin keine Chance einen anderen als den für sie vorgesehenen Weg einzuschlagen und die Identifizierung als minderwertiger Mensch war zu jedem Zeitpunkt ohne Probleme möglich – und die Folgen waren dramatisch. So durften Burakumin nur in ausgewiesenen, ärmlichen Gebieten leben, durften ihre Religion nur in besonderen, heruntergekommenen Tempeln ausüben, durften weder die Häuser echter Bürger betreten noch Essen von diesen annehmen und auch das Sammeln von Holz im Gemeindewald war den Sondergemeinden verboten. Selbst Schulen durften die Kinder der Burakumin nicht besuchen.
Das Leben im Buraku war gewiss nicht einfach, sodass es nach Ende der harten Edo-Zeit im Jahre 1871 einen Befreiungserlass für Burakumin gab, der das gebeutelte Volk, das sich vordergründig nur durch den Beruf von der angesehenen Masse unterschied, gleichgestellt werden sollte. Auf dem Papier war der Grundstein für ein besseres Leben also gelegt, doch sah die Praxis anders aus. Die Menschen bezeichneten die ehemaligen Burakumin fortan als Shin-Heimin – Neu-Bürger. Tatsächlich gab es also nur einen neuen Namen für eine alte Problematik und die gesellschaftlich ungeliebten Menschen bekamen es vom Rest der Bevölkerung nicht wirklich einfacher gemacht.
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Erst im Jahre 1922 fanden etwa 2.000 Abgeordnete der Burakumin in Kyoto den Mut sich zu organisieren und gründeten mit der Zenkoku-Suiheisha-Bewegung eine Instanz, welche die diskriminierte Volksgruppe endlich emanzipieren sollte. Das Vorhaben ging jedoch nur schleppend voran und musste während des Zweiten Weltkrieges pausieren ohne große Erfolge verbuchen zu können. Die Wandlung im Jahre 1955 zur Buraku Befreiungsliga sah allerdings vielversprechender aus und die Bewegung mit neuem Schwung war im Jahre 1988 maßgeblich an der Gründung der Internationalen Bewegung gegen alle Formen der Diskriminierung und des Rassismus, kurz IMADR, beteiligt. Bis heute konnte die Befreiungsliga große Erfolge für die Rechte der Burakumin und gegen dessen Diskriminierung erreichen. So dürfen beispielsweise ehemalige Bewohner der Buraku seit einigen Jahren ihren Namen ändern. Diese Novellierung im japanischen Recht ist in insofern ein wichtiger Schritt gewesen, weil die Melderegister der Edo-Zeit noch immer existieren, von Arbeitgebern eingesehen werden können und verzeichnete Menschen von einigen Arbeitgebern bewusst benachteiligt werden.
Letztens Endes wird die besondere japanische Bevölkerungsschicht zwar bis heute noch teilweise diskriminiert, doch ist der Umgang mit den Sondergemeinden nicht mehr ganz so rüde wie zu früheren Zeiten und durch die Möglichkeit der Namensänderung können viele Angehörige der Schicht ihrem Schicksal entgehen und mit einer neuen Identität nicht mehr unmittelbar als Burakumin identifiziert werden.
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