Europa kann, rein geophysikalisch und leicht ironisch, als eine erdgeschichtlich erzwungene Vereinigung diverser Landmassen beschrieben werden, die den verschiedenen sie bewohnenden Nationen nun die epochale Aufgabe auferlegt, sich wohl oder übel irgendwie zusammenzuraufen. Während es dem Kontinent als einem solchen herzlich egal zu sein scheint, welche Zukunft das wissenschaftliche Vermächtnis von Alfred Wegener für ihn bereithält, ist es für die pausenlos auf eine künftige Gemeinschaft eingeschworenen Menschen schon weitaus schwieriger, sich eher als Europäer denn als stammesgeschichtliche Patrioten zu verstehen. Deshalb haben sich völkerkundlich interessierte Wissenschaftler aktuell mit der Frage beschäftigt, wie man sich wohl einen typischen Europäer rein von der Optik her vorzustellen habe, und wovon die einzelnen Faktoren dieser Vorstellungskraft mutmaßlich gespeist werden. Die Ergebnisse einer entsprechenden Feldforschungsstudie wurden jüngst der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Und können mit einem augenzwinkernden „Ganz der Papa“ auf den eher egozentrischen Punkt gebracht werden.
Deutschland gegen Portugal – (k)ein Heimspiel?
Für die Untersuchung holte sich die Wissenschaftlergruppe um Dr. Roland Imhoff (Bonn) eine Gruppe deutscher und eine Gruppe portugiesischer Landsleute ins Boot. Diesen beiden nationalen Fraktionen wurden per Computer Bilder von verschiedenen Gesichtern dargeboten. Die Aufgabe der Untersuchungsteilnehmer bestand darin, ein persönliches Urteil darüber zu fällen, wie europäisch das jeweils betrachtete Gesicht aussähe. Was die beflissene Jury im Dienste der Wissenschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Die Bilder von den Gesichtern zeigten keine real existierenden menschlichen Antlitze, sondern per Computer gemorphte Mischbilder. Als Ausgangsmaterial für die Vorlagen dienten echte Fotos von echten Kölnern sowie authentische Aufnahmen von Portugiesen direkt aus dem schönen Lissabon. Der Computer generierte aus diesen Fotografien künstliche Gesichter, bei denen das jeweilige Mischungsverhältnis zwischen den visuellen Anteilen aus Köln und aus Lissabon streng kontrolliert variiert wurde. Wie würden nun die jeweiligen Landsleute zu ihren Ergebnissen kommen?
Alles typisch Deutsch, oder?
Die statistische Auswertung der Befragung enthüllte auf beiden Seiten einen gewissen patriotischen Egozentrismus der sozialen Wahrnehmung:
– Die deutschen Untersuchungsteilnehmer empfanden ein dargebotenes Gesicht umso europäischer, je mehr Kölner Anteile darin eingebettet waren.
– Die Portugiesen sahen die Dinge genau anders herum: Für sie sahen jene Gesichter am ehesten typisch europäisch aus, die möglichst viel „Lissabon“ in sich trugen.
Daraufhin wollten es die Forscher noch etwas genauer wissen. Dazu ließen sie die beiden Gruppen dazu Stellung nehmen, wer denn, so ganz allgemein, der typischere Europäer sei, wenn Deutsche und Portugieser im direkten Völkervergleich stünden. Und siehe da: Während die befragten Deutschen in Sachen Europa keine anderen Götter neben sich duldeten, mochten die Portugiesen hier weder sich noch den Germanen den eindeutigen Vorzug geben. Scheinbar halten sich die Deutschen in Sachen Europa in jeder Hinsicht für das Maß aller Dinge. Wenn das auf Dauer nur mal gut geht.
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