Wissen wird geschaffen und Ergebnisse werden gesichert, die unglaubliche Fortschritte mit sich bringen können. Umso erschütternder ist es dann für Wissenschaftler, wenn sicher geglaubte Errungenschaften durch neue Experimente widerlegt werden oder zumindest Anlass zu Zweifeln geben, so jüngst geschehen, als Schweizer Neutrinos die Frechheit besaßen, sich auf dem Weg nach Italien scheinbar einfach über Einsteins Relativitätstheorie hinwegzusetzen.
Flotte Neutrinos
Am 23. September 2011 schickte das Kernforschungsinstitut im Schweizer Cern nahe Genf Neutrinos auf die Reise nach Italien in ein 730 Kilometer entferntes Labor. Den Messungen zu Folge kamen die physikalischen Teilchen 60 Milliardstel Sekunden schneller am Zielort an, als dies Licht hätte schaffen können. Gemessen wurden rund 15.000 Neutrinos, deren Geschwindigkeit bis auf 10 Milliardstel Sekunden genau gemessen wurde. Das klingt zunächst nach nichts Besonderem, doch ist es nach physikalischen Grundgesetzen, insbesondere nach Einsteins Relativitätstheorie unmöglich, dass sich Teilchen im Universum schneller bewegen können als Licht. Doch genau das ist nun scheinbar passiert. Die Forscher haben Ihre Messergebnisse genauestens überprüft und erst spät veröffentlicht, nachdem sie selbst keine Fehler in der Messung finden konnten. Nun soll die allgemeine Wissenschaft die Ergebnisse überprüfen und mögliche Fehlerquellen aufdecken. Denn wenn man eines aus den Kommentaren der Forscher zwischen den Zeilen herauslesen kann, dann die Tatsache, dass es für alle bisherigen Erkenntnisse und Annahmen besser und einfacher wäre, wenn die Messergebnisse falsch wären. Sollten sich die Neutrinos aber wirklich schneller bewegen als das Licht, würde das die gesamte moderne Physik auf den Kopf stellen.
Das Opera-Experiment
Ursprünglich sollte das Opera-Experiment quantenmechanische Prozesse untersuchen, die physikalische Teilchen verändern können und den Nachweis von Masse bei Neutrinos erbringen. Während die Wissenschaftler mit allen möglichen Ergebnissen gerechnet hatten, so hatten sie eines garantiert nicht auf der Rechnung, nämlich, dass die Neutrinos auf ihrem Weg eine höhere Geschwindigkeit als das Licht erreichen. Die Verblüffung der Forscher ist derzeit groß, doch bevor voreilige Schlüsse gezogen werden, muss das Geschwindigkeitsexperiment wiederholt werden. Sollten sich die Messungen dann als richtig erweisen, fällt ein Grundpfeiler der modernen Physik und zwingt zum Umdenken. Doch wie lange das alles nun dauern kann, lässt sich nicht voraussagen. Entweder findet sich relativ schnell eine Forschergruppe, welche Fehler in den Ergebnissen der Messung entlarven kann oder aber es wird Jahre beziehungsweise Jahrzehnte in Anspruch nehmen, bis zufriedenstellende Antworten in der Frage um die Neutrinos gefunden werden.
Nicht das erste Mal „Überlichtgeschwindigkeit“
Die Experimente mit Neutrinos in der Schweiz sind natürlich nicht die einzigen auf der Welt. Schon im Jahre 2007 wurden in einem Labor in den USA während des MINOS Experimentes Neutrinos an ein Partnerlabor geschickt und ähnliche Messergebnisse erzielt. Allerdings wiesen die Messungen größerer Ungenauigkeiten auf, sodass die Geschwindigkeit der Neutrinos nicht gesichert werden konnte. Der Teilchenbeschleuniger für das MINOS Experiment sollte in einiger Zeit abgeschaltet werden. Durch die jüngsten Ereignisse in der Schweiz wollen die US-Amerikaner das Experiment in den nächsten vier bis sechs Monaten jedoch wiederholen und die europäischen Ergebnisse entweder bestätigen oder widerlegen.
Was sind Neutrinos eigentlich?
Neutrinos sind neutrale Elementarteilchen, die in drei Gruppen unterschieden werden: In die Elektronen-Neutrinos, Myon-Neutrinos und Tau-Neutrinos. Der Name des Neutrinos geht auf den italienischen Kernphysiker Enrico Fermi zurück und bedeutet übersetzt „kleines Neutron“. Entdeckt hatte Fermi die Elementarteilchen bei dem Beta-Zerfall von Kernen. Jahrelang ging man davon aus, dass es sich bei den Neutrinos um masselose Teilchen handelt, was den Nachweis entsprechend schwierig gestaltete. Erst in späteren Experimenten wurde deutlich, dass die Neutrinos selbst eine geringe Masse aufweisen und sich innerhalb ihrer drei Gruppierungen verwandeln können. Verantwortlich dafür sind quantenmechanische Prozesse, wie sie im OPERA Experiment der Schweizer Wissenschaftler genauer untersucht werden sollten. Von Beginn an gaben die Neutrinos Rätsel auf und die neueste Entdeckung, dass sich die Elementarteilchen schneller als das Licht bewegen können, ist zunächst einmal nur eines mehr, das gelöst werden will.
Fotos: Cern / CNGS
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