Wer schon ein Kabuki Theater besucht hat, wird sich sicherlich gerne zurückerinnern und das spektakuläre Ereignis mit dem überschminkten Schauspielern vor dem geistigen Auge Revue passieren lassen. Bevor das Kabuki im Jahr 2005 von der Unesco auf die Liste der „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ aufgenommen wurde, durchlief das Theater einen radikalen Wandel. Denn auf der Bühne sind nur Männer erlaubt.
Von einer Frau erfunden, für Frauen verboten
Das Kabuki Theater geht bis ins Jahr 1603 auf das Schrein-Mädchen Okuni vom Izumo-Schrein zurück. Okuni hatte Erfahrung in Schamanen-Ritualen und war bestens mit dem japanischen Noh-Theater vertraut. In einem ausgetrockneten Flussbett in Kyoto führte sie zusammen mit ihrem weiblichen Ensemble komödiantische Theaterstücke in Verbindung mit Tänzen auf, bereicherte die Aufführungen allerdings um erotische Elemente, die besonders das männliche Publikum begeistert hatten. Derartige Aufführungen fanden schnell Anklang im Land und wurde entsprechend als Kabuki bezeichnet, was übersetzt so viel wie exzentrisch, unkonventionell oder auch schockierend bedeutet. Nicht selten wurden die Kabuki Stücke auch mit Prostitution verknüpft, welche durch die Schauspielerinnen im Anschluss an ihre künstlerisch durchaus anspruchsvollen Werke den männlichen Zuschauern anboten. Der damaligen, militärischen Diktatur des Tokugawa Shogunats, waren diese „Frauen-Kabuki“ schnell ein Dorn im Auge. Neben der Prostitution, war es vor allem auch die Höherstellung der Frau, die für Unmut bei den Herrschern sorgte. Folgerichtig wurde die Vorführung durch Frauen kurzerhand verboten.
Das Kabuki im Wandel
Ab dem Jahre 1629 durfte in ganz Japan also keine Frau mehr die Rolle in einem Kabuki Stück übernehmen. Die Aufführungen waren allerdings so populär geworden, dass sie nach dem Verbot des Shogunats von jungen Knaben aufgeführt wurden, die nicht nur die schauspielerischen und tänzerischen ihrer weiblichen Vorgänger übernahmen, sondern auch den „privateren“ Teil im Anschluss an die Vorführungen. Also wurde es 1652 auch den jungen Männern verboten, die exzentrischen Theaterstücke aufzuführen und ausschließlich erwachsene Männer durften noch als Schauspieler agieren. Dieses sogenannte Yaro-Kabuki, zu Deutsch etwa „Kerl-Kabuki“, wurde dann bis heute beibehalten. Die weiblichen Rollen der Stücke wurden aber keineswegs gestrichen, sondern von Männern übernommen.
Die weiblichen Rollen
Dass Männer fortan die weiblichen Rollen übernahmen, mag im ersten Moment albern wirken, mauserte sich aber schnell zur angesehenen und geschätzten Kunstform. Die auf weibliche Rollen spezialisierten Schauspieler erhielten die Bezeichnung „Onnegato“ und entwickelten ausgefeilte Methoden, die Weiblichkeit künstlerisch zu imitieren. Beispielsweise arbeiten sie an ihrer Körperhaltung, um kleiner zu erscheinen als sie tatsächlich waren oder sie trainierten ihre Stimmen auf mehr Weiblichkeit. Nach dem Ende des Tokugawa Shogunates wurde in den Meiji Periode in Betracht gezogen, die Frauen im Kabuki Theater wieder zuzulassen. Jedoch war die Kunstform des Onnegato in der Zwischenzeit derart etabliert, dass man sich aus künstlerischer Sicht gegen eine Wiederaufnahme der Frauen in das Kabuki Theater entschied.
Die männlichen Rollen
Während sich die Onnegato also zu einer eigenen Kunstform entwickelten und die teilweise femininen Darsteller stets die eigentlichen „Stars“ des Kabuki Theaters sind, werden die männlichen Rollen ihrerseits noch einmal in zwei streng geteilte Stile unterteilt. Zum einen in Aragoto, den harten Stil, und zum anderen in Wagoto, den sanften Stil. Die Aragoto-Darsteller sind die „echten“ Kerle der Stücke, mit lauter, bellender Stimme und mächtiger, körperlicher Erscheinung, die durch Polsterungen und Vergrößerungen der Kostüme noch verstärkt wird. Zudem bildet das Kumadori – ein aggressives Make-Up der Darsteller – ein weiteres Merkmal der Aragoto. Die Wagoto-Darsteller sind die sanften, emotionalen Vertreter im Kabuki. Sie zeichnen sich durch Sensibilität und Zurückhaltung aus und übernehmen besonders gefühlsbetonte Rollen. Oftmals werden die Wagoto Rollen auch von Onnegato Spezialisten übernommen.
Drei Formen des Kabuki
Das Kabuki wird in der Regel in drei Hauptkategorien unterschieden. Bei den Jidaimono handelt es sich um die historischen Stücke, die Shosagoto sind die Tanzstücke des Kabuki Theaters und die Sewamono schließlich die bürgerlichen Stücke, die alltägliche Themen beinhalten. Allen drei Kategorien ist gemein, dass Samurai überwiegend eine zentrale Rolle spielen.
Für die Shosagoto, die Tanzstücke, müssen die Darsteller neben den hohen schauspielerischen Ansprüchen übrigens eine intensive Tanzausbildung absolvieren, um überhaupt erst eine Karriere anstreben zu können.
Die Historienstücke des Kabukis, die Jidaimono, waren überwiegend in ferner Vergangenheit angesiedelt, um eine Zensur und Konsequenzen durch das Shogunat zu vermeiden. Im Mittelpunkt standen Samurai, Prinzessinnen und Herrscher längst vergangener Tage, wobei meist ein Held das Geschehen dominierte. Mit parodistischen oder komödiantischen Darstellungen zeitgenössischer Herrscher wurde hingegen nicht viel Spaß verstanden. Entsprechend war es bequemer und ratsamer, das regierende Shogunat bei den Stücken außen vor zu lassen.
Die Themen der bürgerlichen Stücke, der Sewamono, wurden dafür aber meist weniger zimperlich angegangen, handelten häufig von Prostituierten, Kaufleuten und einfachen Bürgern, rund um landestypische Themen wie Freundschaft, Loyalität oder Ehre. Oftmals handelten die Sewamono Stücke auch von verbotener Liebe und Doppelselbstmorden, wo die sanften Wagoto-Darsteller brillieren konnten.
Kabuki aktuell
Mittlerweile blickt das Kabuki Theater auf eine Tradition von über 400 Jahren zurück und hat in seiner Faszination kaum eingebüßt. Lediglich das Publikum hat sich seit den Anfängen der japanischen Darstellungskunst ein wenig verändert. Während Kabuki früher noch zur Massenunterhaltung diente, wird es heute eher in intellektuelleren, kleineren Kreisen geschätzt. Aktuelle Stücke werden dabei vorwiegend im Kabukiza in Tokyo, im Minamiza in Kyoto und im Shochikuza in Osaka aufgeführt, finden aber immer wieder auch den Weg in das japanische Nationaltheater. Wann und wo auch immer man allerdings die Chance bekommt, ein traditionelles Kabuki Theater zu besuchen, sollte man diese unbedingt wahrnehmen.
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