In den 1980er Jahren noch als Kult-Ikone des trashigen, New Yorker Underground Kinos belächelt, entwickelte sich Richard Kern zum breitentauglichen, angesehenen Künstler, dessen erotische Fotografien das eine oder andere Male namhafte, kommerzielle Zeitschriften zieren und dessen Linse sich noch namhaftere Hollywood-Schauspieler und Musikgeschäft-Größen wie Nick Nolte oder Marilyn Manson kaum mehr entziehen können. Doch nicht, dass der Künstler seine einstigen Trashgefilde mit Punkallüren verlassen hätte. Ganz im Gegenteil sucht er noch immer den Tabubruch und präsentiert die Motive seiner Fotografie in grenzüberschreitender Manier, die heute zwar nicht mehr das Entsetzen wie vor gut 30 Jahren hervorrufen können, aber noch immer eine Art Anti-Glamour verkörpern, der vom Feuilleton mittlerweile gerne als Glamour Trash verniedlicht wird.
Der Kern der Person
Richard Kern wurde in einer kleinen Stadt in North Carolina, USA geboren. Ronoake Rapids heißt das verschlafene Örtchen mit rund 17.000 Einwohnern, das im Jahre 1954 wohl kaum geahnt haben dürfte, welch energiegeladener, provokativer Künstler der Zukunft da das Licht der heilen Welt erblickte. Und zunächst sah es noch nicht wirklich nach der Entwicklung eines großen Künstlers aus, so war der Vater des kleinen Richard doch ein eher konservativer Chefredakteur der lokalen Zeitung und bereitete große Fußstapfen vor, in die der Sohnemann treten konnte. Doch statt den Spuren des Vaters zu folgen, verschlug es Kern schon bald nach New York, wo er seine Karriere als Künstler starten sollte.
Cinema of Transgression
In den 1980er Jahren machte eine lose Gruppe gleichgesinnter Künstler rund um den New Yorker Underground Filmemacher und Autor Nick Zedd auf sich aufmerksam, indem sie durch trash- und humorbeladene Filmwerke die Sehgewohnheiten der breiten Masse malträtierte, ästhetische Grenzen überschritt und dementsprechend ihre Arbeit selbst als „Cinema of Transgression“, sprich „Kino der Überschreitung“, bezeichnete. Charakteristisch für die provokativen Undergroundfilme waren die billigste Produktion mit Super 8 Kameras und eine anarchische Vermengung von Sex, Gewalt und Perversion mit Humor. Die Filmbewegung des Cinema of Transgression stand in enger Verbindung mit der Musik, genauer mit dem New York Punk und der avantgardistischen No Wave Bewegung. Entsprechend sind in den Undergroundfilmen der rebellischen Jungkünstler auch ehemalige, musikalische Szenegrößen wie Lydia Lunch oder Henry Rollins zu sehen. Nachdem Richard Kern 1977 sein Kunststudium an der „University of North Carolina at Chapel Hill“ abgeschlossen hatte, waren in den Augen konservativer Betrachter wohl eher „seriösere“ Möglichkeiten für den jungen Richard gegeben, doch fühlte dieser sich im Umfeld der Grenzüberschreiter sichtlich wohl und wurde bis heute zu deren einflussreichstem und bekanntestem Vertreter. Zu den teils heftigen, filmischen Ergüssen Kerns kamen rasch Musikvideos hinzu und sowohl Bekanntheit als auch Ansehen des Künstlers wuchsen.
Fotografie
In den 1990er Jahren konzentrierte sich Kern mehr auf die Fotografie und sorgte bereits mit seiner ersten Veröffentlichung „New York Girls“ für Aufsehen. Ganz in der Tradition der Grenzüberschreitung zeigte er freizügige Foto-Modelle im sexuell-fetischistischen und sado-masochistischen Kontext. Für seine weiteren Veröffentlichungen ging er noch einen Schritt weiter und knipste keine bildhübschen, aufgestylten Modelle, sondern authentische, junge Frauen samt Macken und Makel. Das Ganze dann auch nicht ganz so sauber abgelichtet, sondern noch schmutziger und kontroverser als in seinem Erstlingswerk. Die Kernsche Ästhetik war endgültig geboren und zeigte nicht die gewohnten, massentauglichen Glanzfassaden erotischer Fotografie, sondern das dreckige Abziehbild davon, was auch schon einmal eine junge Dame zeigt, die sich gerade in der Nase popelt. Und wo Authentizität in künstlerischem Sinne auf dem Schild steht, darf auch der seelische Dreck eingefangen werden und sich beispielsweise in einem Bild einer Frau widerspiegeln, die sich sichtlich untergewichtig gleich die ganze Hand in den Rachen steckt. Doch trotz des erwähnten Schildchens lässt sich Kern nicht ansatzweise in eine Schublade stecken. Zu vielschichtig, tiefgründig und auch unberechenbar sind Kerns Werke, um Sie allgemeingültig und vorschnell abstempeln zu können. Natürlich müssen die Werke des New Yorkers nicht jedem Betrachter gefallen, doch reißen sich für Ausstellungen mittlerweile die größten Galerien um Kerns Fotografien sowohl die unterhaltungsorientierten Medien als auch kulturelle Institutionen zollen dem Künstler den verdienten Respekt. So sind einige Fotos unter anderem in Magazinen wie der italienischen GQ oder dem V Magazine, aber auch im Museum of Modern Art oder im Whitney Museum zu finden. Kunstbegeisterte, die nicht ständig Ausstellungen oder internationale Museen besuchen können oder wollen, stellt der renommierte Berliner Taschen-Verlag die große Kunst Kerns in Buchform zum kleinen Preis zur Verfügung.
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