Wann immer die professionelle Beurteilung der Persönlichkeit eines Menschen erforderlich ist, wird ein psychologischer Gutachter hinzugezogen und beauftragt. Das kann im Rahmen einer strafrechtlich relevanten Schuldfähigkeitsfrage sein, aber auch bei einem Sorgerechtsstreit oder bei dem Problem der richtigen Berufswahl. Und auch ein Psychotherapeut oder ein Psychiater ist angehalten, ein Gutachten zu erstellen, wenn es um die Begründung eines angemessenen Therapiekonzepts für einen um Hilfe ersuchenden Patienten und dessen Kosten tragender Krankenkasse geht. Diese kleine Auswahl soll deutlich machen, dass psychologische Gutachten nicht nur in spektakulären Gerichtsprozessen, sondern auch sonst (fast) überall im Alltag erforderlich sein können. Grund genug, sich mit diesem spannenden Thema aus dem prallen Alltag des Psychologen etwas näher zu befassen.
(R)eine Formsache
Psychologische Fachgutachten müssen anerkannten und vorgeschriebenen formalen Standards genügen. Deshalb kann der Gutachter nicht einfach so „drauf los schreiben“, sondern muss sich sehr streng an die gültigen Vorschriften halten. Das beginnt beim korrekt gestalteten Deckblatt und hört erst mit dem gewissenhaft und lückenlos zusammengestellten Anhang wieder auf. Jeder noch so kleine Formfehler kann hier der gegnerischen Partei, sofern es eine gibt, die Ablehnung des Gutachtens ermöglichen. Völlig ungeachtet des ansonsten wahrscheinlich untadelig wahrheitsgemäßen Inhalts. Und diese peinliche Blöße darf sich natürlich kein seriöser Gutachter geben.
Die Fragestellung
Jedes psychologische Gutachten dient der Aufklärung einer konkreten Fragestellung. Ist die Zeugin tatsächlich glaubwürdig? War der Angeklagte zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig? Ist für den jungen Delinquenten das milde Jugendstrafrecht oder das uneingeschränkte Strafgesetz anzuwenden? Soll dem mehrfach auffällig gewordenen Verkehrssünder der Führerschein entzogen werden? Je nachdem, welche Frage auf dem Boden wissenschaftlicher Erkenntnisse beantwortet werden muss, hat der Gutachter die Aufgabe, die Biographie des Probanden gezielt zu durchleuchten, sowie gegebenenfalls spezifisch indizierte psychodiagnostische Testverfahren auszuwählen und anzuwenden. Am Schluss des Gutachtens soll auf jeden Fall eine Antwort stehen, die felsenfest auf dem fachkundigen Boden der Tatsachen und des bestens begründeten Faktenwissens steht.
Der Adressat
Je nachdem, für wessen Augen das fertige Gutachten bestimmt ist, ist eine entsprechende Wortwahl zu treffen. Soll das Gutachten einem Gericht zur Urteilsfindung dienen, so sind juristische Termini korrekt zu verwenden. Geht das Gutachten im Rahmen einer Überweisung an einen Fachkollegen, dann darf ein gewisser Fachjargon als bekannt vorausgesetzt werden. Soll aber ein Laie das Gutachten verstehen können, muss vieles vereinfacht dargestellt und ausführlich erklärt werden. Somit muss ein Fachgutachter nicht nur über erschöpfendes Fachwissen, sondern auch über nicht unerhebliche schriftstellerische Qualitäten verfügen, um seinen Job wirklich gut machen zu können.
Der Zeitfaktor
Um alle relevanten Daten für das psychologische Gutachten zu sammeln, braucht es viele Stunden konzentrierter Zusammenarbeit. Da wäre zunächst der Posten „Anamnese und Exploration“, in dessen Rahmen der Gutachter in die Biographie des Probanden eintaucht, um dort nach den für die Fragestellung relevanten Aspekten zu fahnden. Hat sich der Gutachter ein umfassendes Bild vom bisherigen Leben des Probanden verschafft, geht es meist noch an die Durchführung und Auswertung notwendiger psychodiagnostischer Untersuchungen. Und hat der Gutachter schließlich sein „Rohmaterial“ beisammen, dann geht es an die verbale Ausformulierung der erhaltenen Befunde. Kein Wunder, dass da bisweilen von der ersten Sitzung bis zum fertigen Gutachten Monate vergehen können.
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