Der größte Skandal in der unabhängigen, avantgardistischen und experimentellen Filmszene wäre es wohl, ein Kunstwerk fertig zu stellen, das keinen Skandal bereithält. Doch während diese Art von Film als Kunst überwiegend eine kleine Schar von Cineasten zu interessieren vermag, sorgen auch Filme, die einem größeren Publikum zugänglich sind regelmäßig für ein Kopfschütteln. Meistens stammen zwar auch diese aus der unabhängigen Szene, doch schaffen es auch immer wieder hochbudgetierte Hollywood-Filme ein breites Publikum vor den Kopf zu stoßen.
Wann ist ein Skandal ein Skandal?
Wann es sich bei einem Film wirklich um einen Skandal handelt, hängt weniger vom Gezeigten als vielmehr von den äußeren Umständen ab. Zu Beginn der Filmgeschichte war ein harmloser Filmkuss schon ein grenzüberschreitender Skandal, von dem Zeigen des blanken Busens einmal ganz zu schweigen. Über die Jahre wurden die Grenzen nicht zuletzt durch das Brechen einiger Tabus aber zunehmend erweitert und es gehörte immer „mehr dazu“, um von einem Skandal zu sprechen. Themen wie Sexualität, Blasphemie, Diskriminierung oder auch Gewalt spielen auch heute noch immer die tragende Rolle, ob sich aus einem Werk ein Skandal entwickelt oder nicht. Während viele Filmemacher sich wagemutig an grenzwertige Themen wagen, um ihre künstlerischen Ambitionen zu verwirklichen, gibt es ebenso viele Produzenten, die ein skandalträchtiges Potential künstlich erschaffen, um mehr Aufmerksamkeit und entsprechend mehr Zuschauer für ihre Filme zu erhalten. So bewegen sich einige Filme zwischen tiefsinniger Kunst und plakativer Provokation, doch haben sie stets gemeinsam, dass sie für Aufsehen sorgen und lange Zeit in vielen Mündern bleiben. Auch das 21. Jahrhundert hat noch Platz die Grenzen des guten Geschmacks auszuloten und bietet trotz stark erhöhter „Sehgewohnheits-Toleranz“ eine breite Fläche die Nerven und Moral des Publikums anzugreifen. Hier ein kleiner Streifzug durch einige Skandalfilme des neuen Jahrtausends.
Die Passion Christi
Religiöse Themen in Filmen sind nie eine ganz ungefährliche Sache und schon gar nicht, wenn es um die radikale Auseinandersetzung mit Glaubensvorstellungen geht. Mel Gibsons Werk „Die Passion Christi“ bildet hier keine Ausnahme, sondern sorgte ganz im Gegenteil für ein weltweites Aufsehen durch explizite Gewaltdarstellungen und erntete den Vorwurf des Antisemitismus.
Irreversibel
Der französische Filmemacher argentinischen Ursprungs Gaspar Noé machte bereits mit seinem Erstlingswerk „Seul contre Tous“ (dt. Menschenfeind) auf sich aufmerksam, indem er ein sehr nihilistisches, depressives Werk schuf, das selbst Zuschauern, die über etwas härtere Sehgewohnheiten verfügten teilweise aufs Gemüt schlug, aufgrund mangelnden Publikums aber nicht für Furore in der Öffentlichkeit sorgen konnte. Anders erging es da dem Folgewerk „Irreversibel“, das bei seiner Vorführung in Cannes sogar Ohnmachtsanfälle ausgelöst haben soll und vor allem im feministischen und homosexuellen Umfeld Schreie des Protests auslöste. Grund dafür war eine zweifelhafte Darstellung von Homosexuellen zum Einen und eine explizite, harte Vergewaltigung zum Anderen. Vordergründig wurde der Film nicht selten als diskriminierender Gewaltporno deklariert, während eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Werk des Philosophen und Filmwissenschaftlers entsprechend differenziertere Meinungen zulässt.
The Brown Bunny
Schon in den Jahren vor der Jahrtausendwende war es durchaus üblich, dass in kleinen Independent-Werken die sexuelle Darstellung bis weit über die Grenzen zur Pornographie gereizt wurde, der Kunstanspruch ein Verbot oder eine Zensur allerdings zu unterbinden wusste. Insofern ist „The Brown Bunny“ eigentlich nichts Außergewöhnliches – eigentlich. Denn was den Film zu einem Skandal werden ließ, war die Beteiligung der gestandenen Hollywood-Darstellerin Chloë Sevigny, die sich für eine Szene des Films bei der echten, sehr expliziten Fellatio an ihrem Schauspielerkollegen, Regisseuren und Produzenten des Films Vincent Gallo, filmen ließ.
Saw – Eine neue Qualität der Gewalt
Ausgeklügelte Grausamkeiten und explizite Gewaltdarstellungen waren in Filmen schon deutlich vor der Filmreihe „Saw“ zu sehen, doch waren diese eher Bestandteil einer eigenen Szene, die sich erstens auf ältere Horrorfilme konzentrierte und sich im moderneren Gewand fast ausschließlich im Heimkinobereich abspielte. Filme, bei denen die Gewalt im Vordergrund steht, waren bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr in den großen Lichtspielhäusern zu finden, wo schon im Vorfeld darauf geachtet wurde, eine möglichst niedrige Alterseinstufung zu erhalten, um möglichst viele Besucher verbuchen zu können. Umso überraschter waren viele Kinofans dann, als mit „Saw“ eine geradezu unmenschliche Gewaltorgie von der Leinwand strahlte, die sich von Teil zu Teil noch deutlich steigerte. Für viele Zuschauer zu viel des guten, sodass die Saw-Reihe harsche Kritik auf sich zog.
Hostel
Der US-amerikanische Regisseur Eli Roth mochte nach eigener Aussage selbst Filme wie „Saw“, fand die Grundgeschichte allerdings ein wenig unrealistisch. Im Zuge dessen verlagerte er seine ganz persönlichen Vorstellungen von Folter- und Gewaltorgien in einen anderen Rahmen der Erzählung. Entsprechend werden die Opfer des Regisseurs dann nicht von einem krebskranken „Lektionen-Erteiler“ dezimiert, sondern von gelangweilten Superreichen, die ihrem grauen Alltag ein wenig Abwechslung verleihen möchten. Auch wenn dem Regisseur vorgeworfen wird, dass er durch selbstgefällige Folterszenen und überharte Brutalität nur die Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte, könnte die wahre Kontroverse seines Filmes tatsächlich darin begründet liegen, dass solch perverse Spielchen, wie sie die reichen Jäger im Film betreiben, durchaus denkbar sind, einfach, weil sie es sich leisten können.
Die Skandale von gestern
Die Liste an Skandalfilmen ist mittlerweile sehr lang und über so manchen Aufreger der Vergangenheit kann man heutzutage nicht mehr aufbringen als ein müdes Lächeln. Dennoch sei jedem Filminteressierten das Buch „Skandalfilme“ von Dr. Stefan Volk ans Herz gelegt. Der Film- und Literaturkritiker hat in seinem Werk die Skandale der Filmgeschichte von Beginn an akribisch zusammengetragen, zusammengefasst und mit Stimmen, Interviews und behördlichen Entscheidungen aus der jeweiligen Zeit ergänzt.
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