In der guten alten Zeit vollbärtiger Philologen galt das auswendig lernen von Gedichten als ebenso wertvolle wie wichtige Hausaufgabe. Auch wenn die Schüler sich meist nur widerwillig der vordergründig langweiligen Pflicht des Einprägens widmeten, so taten sie doch damit nicht nur ihrem Lehrer einen großen Gefallen, sondern vor allem auch sich selbst. Denn nichts hält das Gehirn so geschmeidig in Schuss wie ständiges Lernen, kombiniert mit der permanenten Erweiterung breit aufgestellter Gedächtnisspeicher. Damit scheint es für die „Kids 2.0“ in Zeiten von Google, Wikipedia & Co. allerdings nicht mehr weit her zu sein. Denn was man nicht selbst weiß, kann man ja jederzeit mit einem einfachen Mausklick aus dem Netz fischen. Wozu also noch selbst lernen, wenn das Internet doch sowieso schon alles weiß, und auch bereitwillig alles ausplaudert? Wie gefährlich so eine mentale Schonhaltung für die geistige Fitness werden kann, hat eine US-amerikanische Psychologin jetzt mit wissenschaftlicher Gründlichkeit aufgedeckt.
Wie hieß es doch gleich?
Was man nicht ständig gebraucht, das verkümmert. Diese biophysiologische Binsenweisheit gilt sowohl für die Muskeln als auch für das Gehirn. Denn auch der Denkapparat braucht sein regelmäßiges tägliches Training, um flexibel und funktionsfähig zu bleiben. Wer sich dieser Tatsache wohl bewusst ist, der übt sich nachhaltig in solchen Denkdisziplinen wie Gehirnjogging, Kopfrechnen, oder eben auswendig Lernen. Doch genau so, wie es auch in körperlicher Hinsicht eingefleischte „Couch Potatoes“ gibt, so dümpeln geistige Faulpelze träge im Flachwasserhafen von Google und Wikipedia. Und das kann buchstäblich Verblödung und Vergesslichkeit in die Köpfe bringen. So drastisch formuliert es die Psychologin Betsy Sparrow von der New Yorker Columbia Universität. Sparrow hat sich dafür interessiert, wie sich der bequeme Klick auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirkt. Und ihre Befunde lassen bestürzt und befremdet aufhorchen.
Faul macht vergesslich
In einer vier Jahre dauernden Langzeitstudie hat sich Sparrow, zusammen mit Kollegen der renommierten Harvard-Universität, dem interessanten Thema experimentell angenähert. In der Laborsituation bekamen die Versuchsteilnehmer einfache Sätze zu hören, die sie anschließend per Tastatur in den Computer eingeben sollten. Dabei wurde der einen Gruppe mitgeteilt, dass die eingetippten Sätze bald wieder gelöscht werden würden. Die andere Gruppe durfte darauf bauen, dass der Computer nichts vergisst. Bei späteren Gedächtnistests zeigte sich, dass sich die erste Gruppe deutlich besser an die Sätze erinnern konnte. Die zweite Gruppe schnitt hier schlecht ab; wozu soll man sich etwas merken, das man ja jederzeit wieder abrufen könnte? Und eine weitere Randnotiz: Die Studienteilnehmer konnten sich im Zweifelsfall eher daran erinnern, wo man eine Information im Internet findet, als an die Information selbst. Für diesen Befund wurde der Begriff „Verzeichniswissen“ geprägt.
Was ist denn so schlecht an Verzeichniswissen?
Grundsätzlich gar nichts. Doch man stelle sich eine brenzlige Situation vor, in der sehr schnell und vor allem fehlerfrei entschieden werden muss. Dann sollte man besser die benötigten Informationen als solche mental sofort parat haben, statt sich nur daran zu erinnern, wo man danach googeln müsste. Außerdem soll es in der Menschheitsgeschichte auch schon mal länger andauernde Strom- und Serverausfälle gegeben haben. Mit entsprechenden Konsequenzen für Mann und Maus.
Weiterführende Links zum Thema:
Study Finds That Memory Works Differently in the Age of Google
Jennifer Welsh: Is Google Messing with Your Mind? Search Alters Memory Patterns
http://www.livescience.com/15044-internet-google-influence-learning-memory.html
© Pixel Trader Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten