Oder andersherum gefragt: Wie viel Routine erträgt der Mensch, ohne dass ihn die Langeweile erdrückt? Vor allem auf Klassentreffen prallen Welten aufeinander und am Ende des Abends werden einige Lebensentwürfe auf den Prüfstand gestellt.
Während manch einer selbst nach 30 Jahren nicht die Absicht hat, der beschaulichen Kleinstadt den Rücken zu kehren, hat der andere bereits in allen deutschen Großstädten gearbeitet und plant nun den Sprung nach Übersee.
Und während die eine ihre große Sandkastenliebe geheiratet hat und sich auf das dritte Kind freut, schwärmt die andere von ihrer neuen Liebe – der vierten in drei Jahren. Sind die einen nun spießig und feige? Oder haben die anderen ein Problem damit, sich festzulegen und endlich sesshaft zu werden?
Routine macht das Leben leichter
Routine wird oft als etwas verschmäht, was es auf jeden Fall zu vermeiden gilt – zu Unrecht, ist sie doch das Stützkorsett des Alltags. Müssten wir vor jeder Handlung im Job oder im Haushalt immer wieder aufs Neue überlegen, wie wir es nun angehen sollen, würden wir bald in den Wahnsinn getrieben werden.
Allerdings: Der Grat zwischen der hilfreichen Routine und der, die uns zu Maschinen werden lässt, ist schmal. Schnell werden routinierte Handlungen zum Automatismus, der immer weitere Lebensbereiche durchdringt und der uns irgendwann die Lebensfreude raubt.
Gelegentlich stellen wir erstaunt fest, wie viel wir doch verpassen, wenn wir mit Scheuklappen durchs Leben laufen. Unsere täglichen Besorgungen erledigen wir mittlerweile mit geschlossenen Augen. Schade, denn dabei entgeht uns die kleine Boutique, die kürzlich eröffnet hat und die so wunderbare Dekorationsartikel anbietet und die urige Bäckerei, deren Auslage immer so köstlich duftet, nehmen wir gar nicht erst wahr.
Abwechslung hält lebendig
Abwechslung sorgt für den Adrenalinkick, der uns beim ewig gleichen Wochenendprogramm, das aus Samstagseinkauf, DVD-Abend auf der Couch und sonntäglichem Besuch bei den Schwiegereltern ganz sicher nicht ereilt.
Wer sein Leben erleben will, muss die Komfortzone, die uns die nötige Sicherheit und Stabilität bietet, auch zwischendurch öfter mal verlassen und sich in die Ungewissheit begeben, die uns wach und lebendig werden lässt.
Schwierig wird es, wenn man Abwechslung zum Nonplusultra stilisiert und es weder lange an einem Ort, noch lange mit sich selbst aushält. Blindwütiger Aktionismus, getarnt als übertrieben aktiver Lebensstil, deutet auf verschiedene Baustellen im eigenen Leben hin, denen man aufgrund akuten Zeitmangels leider keine Beachtung schenken kann und will.
Fazit: Gelebt werden oder erleben? Das hängt vom fein abgestimmten Wechselspiel zwischen Routine und Abwechslung ab. Ob die Balance stimmt, zeigt der körpereigene Kompass in Gestalt von Glücksgefühlen oder Zufriedenheit in der Regel sehr genau. Und der Vergleich mit den ehemaligen Klassenkameraden ist ein schöner Anlass, um mal wieder auf diesen Kompass zu schauen.
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