Bei dem Wort Mikrokredite denken vielleicht einige Leser zuerst einmal an den Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus aus Bangladesch. Durch Mikrokredite, die er an arme Frauen seines Landes vergab, konnte er deren Lebensbedingungen entscheidend verbessern. Die Kredite durften nur zu geschäftlichen Zwecken genutzt werden, der Kauf von Fernsehern und Radios war strengstens untersagt.
Da die Zinsen deutlich unter den Wucherpreisen der Geldverleiher lagen und die Menschen sich auch nicht von Rohstofflieferanten abhängig machen mussten, fand das System großen Zuspruch.
Was 1976 als kleines Projekt begann, führte 1983 zur Grameen Bank. Dieses Institut zeigte, dass auch mit Krediten von fünfzig Dollar und weniger, die an Schuldner mit eigentlich nicht vorhandener Bonität vergeben werden, beträchtliche Gewinne erwirtschaften werden können.
Muhammad Yunus hatte nämlich ein System entwickelt, das aufgrund des starken, sozialen Gefüges den Schuldnern einen großen Anreiz bot, sich der Bank gegenüber ehrlich zu verhalten. So erzielt die Grameen Bank Rückzahlungen von 98 Prozent, ein Wert, von dem andere Banken nur träumen können.
Das Genossenschaftsprinzip
Das System des Muhammad Yunnus besteht aus folgenden Eckpfeilern:
- Etwa fünf Kreditnehmer bilden eine Genossenschaft, deren Mitglieder abwechselnd Kredite erhalten und füreinander bürgen
- Es werden Folgekredite in Aussicht gestellt
- Rückzahlungszeitpunkte und Höhe der Raten werden individuell festgelegt. Dafür prüft die Bank genau die geplante Verwendung
- Die Kredite werden eher an Frauen vergeben, da diese sich als zuverlässigere Schuldner gezeigt haben
Darüber hinaus konnten die Kreditnehmer nun Bankkonten einrichten und so verzinst sparen. Es zeigte sich, dass auch die ärmsten der Armen beträchtlich Kapital erwirtschaften und zurücklegen können – sie bilden Wohlstand. Die Bankkonten ermöglichten aber auch einen besseren Zahlungsverkehr und waren somit Schmiermittel für die Wirtschaft der Gemeinschaften.
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Yunnus-System ist die Gewinnverwendung der Banken: Die Gewinne werden vollständig refinanziert und nicht an die Eigner ausgeschüttet. Das funktioniert, da die Eigner die Genossenschaften selbst sind.
Durch ihre Spareinlagen ermöglichen sie die neue Kreditvergabe und sichern so die Refinanzierung. Letzteres ist im Falle der Grameen Bank nur bedingt gegeben, da sie nicht ohne Entwicklungshilfegelder auskommt.
Von Bangladesch nach Deutschland
Das Problem der Armen in Bangladesch, kein Bankkonto einrichten zu können und nicht genug Bonität für gewöhnliche Banken zu haben, gibt es auch in sozial schwachen Vierteln der Städte westlicher Industrienationen.
In Deutschland ist der Bedarf für Mikrokredite eher bei Kleinstunternehmern, die sich beispielsweise durch die Selbstständigkeit aus der dauernden Arbeitslosigkeit retten wollen.
Die wissenschaftliche Definition für unternehmerisches Handeln lautet: Man kombiniert Kapital mit Arbeit und erzeugt so mehr Kapital. In Ausnahmefällen mag es auch gelingen, fast ausschließlich mit Arbeit Kapital zu bilden, aber meist scheitert dies.
Ein Langzeitarbeitsloser kann eine gute Geschäftsidee haben, wird diese aber nicht verwirklichen können, wenn ihm 2000 Euro fehlen. Er mag vielleicht einen erfolgreichen Start schaffen, aber zur Sicherung des Geschäftes und erste Wachstumsschritte wird Kapital benötigt. Und genau an dieser Stelle greifen in Deutschland Mikrofinanzierer ein.
Mikrokredite in Deutschland
In Deutschland haben Mikrokredite und Genossenschaftsbanken eigentlich eine lange Geschichte: Schon die Raiffeisenbank hatte den Zweck, dem kleinen Mann und Bauern finanziell zu helfen, ohne sich an ihm zu bereichern.
In den 1990-er Jahren erkannte man wieder den Nutzen dieses Systems, und es kam zu zahlreichen regionalen und lokalen Projekten. Heute wird die Mikrokreditvergabe über den Dachverband Deutsches Mikrofinanz-Institut (DMI) organisiert.
Das funktioniert wie folgt: Soll ein regionales Mikrofinanzierungsprojekt eingerichtet werden, lässt sich der Mikrofinanzierer vom DMI zertifizieren, indem er sich dort schulen lässt und seine Organisation gemäß der DMI-Richtlinien strukturiert, sowie regelmäßig prüfen lässt. Potentielle Kreditnehmer bewerben sich nun bei dem zertifizierten Mikrofinanzierer, der das Vorhaben und die Verwendung genau prüft. Wird dem Antrag stattgegeben, so vermittelt der Mikrofinanzierer den Kreditnehmer an eine normale Bank, welche das Geschäft abwickelt.
Die Sicherheit wird durch einen Fonds gewährleistet, dem Mikrofinanzfonds Deutschland. Dieser wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sowie der KfW-Bankengruppe finanziert, die GLS Bank verwaltet ihn (und war maßgeblich an der Gründung und Finanzierung beteiligt).
Das Fondsvolumen beträgt zwei Millionen Euro, wovon nur die Hälfte zur Kreditsicherung verwendet werden darf, da sonst die Eigenfinanzierung des Fonds nicht mehr gewährleistet werden kann. Der Fonds zahlt nämlich bei erfolgreicher Kreditabwicklung eine Belohnung an den Mikrofinanzierer, der sich im Gegenzug an Zahlungsausfällen beteiligt. Dies erhöht den Anreiz des Mikrofinanzierers, saubere Arbeit zu leisten.
Von den zehn Prozent Zinsen, die der Kreditnehmer zahlt, geht jeweils die Hälfte an die beteiligte Bank und den Fond. Der Zinssatz scheint vielleicht auf den ersten Blick etwas hoch, jedoch geht es hier einerseits um geringes Kreditvolumen und insofern geringe absolute Zinsbeträge.
Andererseits leistet der Mikrofinanzierer nicht nur die Antragsprüfung, sondern auch eine laufende, intensive Betreuung des Kreditnehmers und hilft ihm so, sein Unternehmen erfolgreich aufzubauen. Die Ausfallquote von maximal 4,5 Prozent bei den Mikrokrediten zeigt, dass sich dieses System tatsächlich durch die optimale Anreizstruktur für alle Beteiligten rentiert.
Genauere Informationen und Adressen von zertifizierten Mikrofinanzinstituten finden sich auf der Internetseite des DMI unter www.mikrofinanz.net
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