Etliche Wissenschaftler haben sich in den letzten Jahren mit einem Phänomen beschäftigt, das auf den ersten Blick wenig offensichtlich wirkt: Mit dem Zusammenhang zwischen chronischer Mittelohrentzündung bei Kindern und Fettleibigkeit. Doch es scheint tatsächlich ursächliche Verbindungen zwischen beidem zu geben. Doch welche? Um das zu erklären, müssen wir ein bisschen ausholen:
Der Schädel eines Kindes braucht eine ganze Weile, bis alle seine Knochen ihren endgültigen „erwachsenen“ Platz gefunden und fest eingenommen haben. Bis es so weit ist, sind viele eingebaute Schutzmechanismen natürlich noch nicht voll funktionsfähig, und auch die Abwehr steht noch nicht richtig.
So ist es zwanglos zu erklären, dass fast jedes Kind mindestens einmal in seinem Leben eine Mittelohrentzündung durchmachen muss. Und bei vielen Kindern wird dieses schmerzhafte und lästige Leiden sogar chronisch.
Dann droht allerdings nicht nur ein fieses Dauerzwicken im gepeinigten Kinderkopf, sondern in der Folge auch massives Übergewicht! Doch wie und warum kann die chronische „Otitis media“ zu Übergewicht bei Kindern führen? Und was können Eltern dagegen unternehmen?
Wasser im Ohr verwässert den Geschmackssinn
Zu den klassischen Symptomen einer chronischen Mittelohrentzündung zählen unter anderem Wasseransammlungen im erkrankten Ohr. Das kann man in schweren Fällen daran erkennen, dass das Hörvermögen des Kindes deutlich beeinträchtigt ist. Doch auch dann, wenn die Kinder scheinbar noch klar und deutlich hören können, kann sich im Ohr Wasser eingefunden und angesammelt haben.
Jetzt haben Wissenschaftler um Il Ho Shin von der Kyung Hee Universität in Seoul (Südkorea) in einer Studie mit 42 Kindern, die an Mittelohrentzündung litten, herausgefunden, dass dieses bei chronischen Verläufen permanent anwesende Wasser nicht nur das Gehör, sondern auch den Geschmackssinn erheblich und nachhaltig stört.
Die Folge: Die grundlegenden Geschmacksqualitäten „salzig“ und „süß“, die man auf der Zunge selbst bei einem ausgewachsenen Schnupfen noch schmecken kann, werden von den betroffenen Kindern nicht sofort, sondern zeitverzögert und deutlich abgeschwächt wahrgenommen.
Dieses Phänomen haben Masaki Sano und Kollegen schon 2007 bei einer Studie mit Erwachsenen festgestellt, die an einer chronischen Mittelohrentzündung litten.
Um also den gewohnten Geschmack zu erleben, essen diese Kinder also entweder deutlich mehr Nahrung, damit auf der Zunge die schiere Masse den lädierten Geschmackssinn anfeuern kann. Oder sie essen Nahrungsmittel, die deutlich süßer und salziger sind als sonst. Sie nehmen also zumindest zuckerreicheres Essen zu sich, und in punkto Salz besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie herzhaftere und fettigere gesalzene Nahrung bevorzugen. Mit anderen Worten: Die Energiezufuhr ist deutlich erhöht. Dass bei so einem unverschuldet gestörten Essverhalten die Speckröllchen vorprogrammiert sind, lässt sich denken.
Und schlimmer noch: Es entwickelt sich ein Teufelskreis zwischen Mittelohrentzündung und Übergewicht, denn die fördern sich gegenseitig. Wenn sich das Kind in seiner Not und ohne Absicht erst mal ein stattliches Übergewicht angefuttert hat, dann wird es mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit wieder an einer Otitis media erkranken. Denn: Der überzählige Speck drückt im Schädel genau auf jenen Muskel, der dafür zuständig ist, das schädigende Wasser aus dem Ohr abzulassen. Die Entzündung bleibt, der Geschmacksverlust auch – und das Kind wird immer dicker und kränker.
Wie können Eltern helfen?
Zunächst ist es immens wichtig, diesen Zusammenhang überhaupt zu kennen. Denn nur mit diesem Wissen können die Eltern den vermeintlich gesteigerten Appetit der kleinen Patienten sofort richtig einordnen, und von Anfang an regulierend auf die Nahrungszufuhr einwirken. Denn man kann das Essen notfalls auch mit Süßstoff süßer schmecken lassen und Essen mit Hilfe von Gewürzen mehr Aroma verleihen, ohne gleichzeitig die Energiezufuhr zu steigern.
Sind die Kinder schon in einem Alter, in dem sie verstehen, kann man ihnen auch erklären, was mit ihnen passiert. Wissen, Begreifen und konsequent danach handeln sind dann einmal mehr die besten Mittel für eine schonende und sinnvolle Gesundheitsvorsorge.
Weiterführende Links zum Thema „Chronische Mittelohrentzündung und Übergewicht bei Kindern“:
Martina Hahn-Hübner:
Chronische Mittelohrentzündung und Übergewicht: Ein Teufelskreis!
Il Ho Shin et al.:
Changes in Taste Function Related to Obesity and Chronic Otitis Media With Effusion. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2011;137(3):242-246. doi:10.1001/archoto.2011.23
Jerome Klein:
Children with otitis media may be predisposed to changes in taste, obesity. Pediatric SuperSite, April 1, 2011
Masaki Sano et al.:
Influence of Chronic Middle Ear Diseases on Gustatory Function: An Electrogustometric Study. Otology & Neurotology: January 2007 – Volume 28 – Issue 1 – pp 44–47. doi: 10.1097/01.mao.0000244359.49756.a3
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